17. Februar 2020
In der „Welt“ erschien ein Artikel von Chefredakteur Ulf Poschardt, dessen Schlagzeile einem schon gegen den Strich geht. „Ohne Liberale wird Deutschland zum Albtraum“, heißt es da. Poschardt meint mit „Liberale“ die FDP. Diese Schlagzeile wäre vielleicht vor dreißig Jahren auf der Höhe der Zeit gewesen. Heute gilt: Auch mit den „Liberalen“ ist Deutschland ein Albtraum. Die Medienkritik.
von Max Erdinger
Étienne de La Boétie (1530 – 1563), war Hoher Richter in Frankreich und Gelegenheitsautor. Um das Jahr 1550 herum verfasste er folgenden Text:
„So gewöhnten sich die Völker in ihrer Torheit (…) an diesen Zeitvertreib, und vergnügten sich mit eitlem Spielzeug, das man ihnen vor die Augen hielt, damit sie ihre Knechtschaft nicht merkten. Die (…) Tyrannen verfielen noch auf etwas weiteres: sie sorgten für öffentliche Schmäuse, damit die Kanaille sich an die Gefräßigkeit gewöhnte: sie rechneten ganz richtig, daß von solcher Gesellschaft keiner seinen Suppentopf lassen würde, um die Freiheit (…) wieder herzustellen. Die Tyrannen ließen Korn, Wein und Geld verteilen: und wie konnte man da »Es lebe der König!« zum Ekel schreien hören! Den Tölpeln fiel es nicht ein, daß sie nur einen Teil ihres Eigentums wiederbekamen und daß auch das, was sie wiederbekamen, der Tyrann ihnen nicht hätte geben können, wenn er es nicht vorher ihnen selber weggenommen hätte. (…) Gibt es auf der Welt etwas Unerträglicheres als das (…)? Welche Lage ist kläglicher als diese; in nichts sich selbst zu gehören, von einem andern seine Wohlfahrt, seine Freiheit, Leib und Leben zu nehmen? (…)Kurz, man bringt es durch die Günstlingswirtschaft, durch die Gewinne und Beutezüge, die man mit dem Tyrannen teilt, dahin, daß es fast ebenso viel Leute gibt, denen die Tyrannei nützt, wie solche, denen die Freiheit eine Lust wäre. Sowie [sich einer] als Tyrann festgesetzt hat, sammelt sich aller Unrat und aller Abschaum des Reiches um ihn (…).“ – Den ganzen Text gibt es hier.
Ulf Poschardt
„Die Vernichtungsfantasien gegen die FDP nach Erfurt zeigen: Der Liberale befindet sich in Deutschland in einer Art kulturellem Feindesland. Ängstliche aber haben keine Chance. Wer freiheitlich denkt, muss kämpfen.„,schreibt Poschardt in der „Welt„. Schön gedacht ist das, keine Frage. Aber ist er auch zu erwarten, dieser angstlose Kampf der freiheitlichen Denker? Eingedenk der Worte von Étienne de La Boétie wohl eher nicht.
Was man dieser Tage beobachtet, das ist, daß den Gesetzen des Medienmarkts gehorchend, über Parteien debattiert wird, über die Demokratie, ihre Verächter, den Rechtsstaat, die freiheitliche demokratische Grundordnung, die Totalitaristen, daß über die Frage debattiert wird, wer wohl nächster Kanzler werden wird – Merz oder Habeck? – und alle solche Dinge. Das ist zwar nicht verkehrt, aber es verrät eine Scheu, den Dingen auf den Grund zu gehen, die ihre Ursache eben in den Gesetzen des Medienmarkts hat. Welcher Autor, welcher Redakteur und welcher Publizist wüsste nicht, daß er sich in diesem Volk nichts als nur Feinde machen würde, wenn er ein bißchen tiefer grübe und die zentrale Frage stellen würde, anstatt sich an paternalistischen Gedankenspielchen zu beteiligen? – „Was bist du eigentlich für ein Volk, deutsches Volk?“
[bg_collapse_preset1]
Das wäre die Frage – und jeder, der sie wahrheitsgetreu beantworten wollte, käme nicht umhin, mit seiner Antwort diesem deutschen Volk die Leviten zu lesen, daß die verbalen Fetzen nur so fliegen. Das geht natürlich nicht. Da seien die Gesetze des Medienmarkts vor. Presseartikel müssen gemocht werden. Die der „taz“ oder der „Zeit“ müssen im linksextremen bis linksliberalen Leserkreis für gut befunden werden, die der freien Presse in ihrem Leserkreis. Es verbietet sich, das eigene Publikum zu beschimpfen. Und so setzen also die wirtschaftlichen Zwänge, denen auch die Medien unterliegen, voraus, daß sie sich bei ihren jeweiligen Lesern und Zuschauern nicht unbeliebt machen dürfen. Zu Ende gedacht heißt das: Wer diesem Volk dauernd erzählen würde, was er wirklich von ihm hält, der könnte seinen Laden irgendwann zusperren. Und in diesem Wissen kann er es auch gleich von vornherein bleiben lassen, das zu schreiben, was niemand lesen will.
Das ist also eine Vorbetrachtung zu jenem Paternalismus, der sich im interventionistischen Staat zeigt, jenem Monster, das sich immer weiter zu grotesker Größe und Wichtigkeit aufbläst, und der sich kaum umgehen läßt, auch von denen nicht, die diesen Paternalismus eigentlich in Grund und Boden stampfen wollen würden. Sie müssen selbst paternalistisch handeln und ihre Leser so behandeln, als könnten die für nichts irgendetwas. Der Oppositionelle, der möglichst viele Mitoppositionelle um sich scharen will, verzichtet tunlichst darauf, den Anderen zu erzählen, sie seien selbst Schuld an der Misere, derentwegen sie nun Oppositionelle werden wollen. So sehr der Staat den Bürger als Mündel haben will, so sehr will ihn der Oppositionelle in der Opferrolle. So wenig, wie zum Beispiel Angela Merkel dem Volk frank und frei erklären könnte, daß sie es abgrundtief verachtet, weil sie von den Verachteten schließlich gewählt werden muß, so wenig kann es sich irgendein Medium erlauben, seinen Lesern frank und frei zu sagen, was es in Wahrheit von ihnen hält. Das Medium muß seine Produkte, die Artikel oder Filme also, schließlich verkaufen. So schließt sich dann ein fataler Kreis: Nicht nur die Politiker liefern eine Show ab, sondern auch die Medienleute.
Unangreifbar
Unangreifbar ist das Volk und unangreifbar ist das Medienvolk als Produzent und Konsument. Man kann es verachten, betrügen, hinters Licht führen, enteignen und generell mißachten – nur sagen darf man nicht, daß man das tut. Man würde sich ins eigene Fleisch schneiden. Weil das so ist, bleibt dann auch die wichtigste Frage ungestellt: „Was bist du eigentlich für ein Volk, du deutsches Volk?“ – Und wenn man eigentlich schon weiß, was das für ein Volk ist, dann dürfte man diese Frage auch nicht präzisieren, etwa wie folgt: „Aus was für gräßlichen Egozentrikern, Opportunisten, Feiglingen und entklöteten Meinungsmemmem setzt du dich eigentlich zusammen, du deutsches Volk?“ Weswegen ich diese Frage auch nicht stelle. Schließlich will ich mich so wenig unbeliebt machen, wie das Ulf Poschardt will. Vergessen Sie also, daß ich jemals die Idee gehabt haben könnte, eine solche Frage überhaupt zu stellen. Ich habe mir das noch nie überlegt, ehrlich. Wenn´s nicht geschwindelt ist.
Volksvertreter
Über das, was Leute tun, die man gemeinhin als „Volksvertreter“ bezeichnet, werden ebenfalls Betrachtungen angestellt, deren erste Voraussetzung ist, daß es sich bei den „Volksvertretern“ tatsächlich um Volksvertreter handelt. Auch das ist fragwürdig. Daß jemand gewählt worden ist, heißt ja noch nicht, daß er sich zwangsläufig auch den Interessen derjenigen verpflichtet fühlt, von denen er gewählt wurde. Wenn er die Volksinteressen nicht vertritt, dann reicht zu seiner Wahl bereits aus, daß er eine Alternative zu anderen „Volksvertretern“ darstellt, die Volkes Interessen ebenfalls nicht vertreten. Die Wahl wäre dann die folgende: Vom wem würden Sie Ihre nicht zu vertretenden Interessen am liebsten „vertreten“ lassen? Von Kandidat A, B, oder C?
Lassen Sie sich bedienen!
Daß Ulf Poschardt ernsthaft versucht, seinen Lesern weiszumachen, ein Verlust für die demokratische Kultur sei erst noch zu erwarten – dieser Tage, ausgerechnet! – und das auf die Frage herunterbricht, wie es wohl um die Zukunft der FDP bestellt sei, – das ist nichts als fortgesetztes Politentertainment in der Matrix. Lassen Sie sich bedienen. Die FDP, meine Güte. Selbst den paternalistischen Rahmen als akzeptiert vorausgesetzt, der jegliche ehrliche Auseinandersetzung mit den wirklichen Problemen verhindert: Beim besten Willen kann ich nicht erkennen, was diese „Demokratie“ zu gewinnen oder zu verlieren hätte, wenn es die FDP nicht gäbe. Die FDP ist wie eine Warze, die man eben hat. Im Lauf der Zeit gewöhnt man sich daran und sie stört nicht weiter. Nein, es gäbe wirklich andere Themen, die von brennendem Interesse sind.
Der Staat – Dein Diener?
Wir kennen den Staatsdiener. Das ist eine Figur, die beispielsweise von Hans Herbert von Arnim oft thematisiert worden ist. „Staat ohne Diener“, heißt eines seiner erfolgreichsten Bücher. Untertitel: „Was schert die Politiker das Wohl des Volkes?“ Das ist zwar eine berechtigte Frage, auch wenn die Antwort allseits bekannt ist: Nichts. Interessanter ist die Frage, warum im Deutschen das Wort „Staatsdiener“ gebräuchlich ist, nicht aber das Wort „Dienerstaat“. Idealerweise hätten wir ja, wenn schon Staat, dann einen, der dem Volk dient, nicht einen, in dem das Volk dem Staat dient. Jedenfalls nicht über das Maß hinaus, das notwendig wäre, um überhaupt einen zu haben, der sich in seinem Tun auf das beschränkt, wofür ein Staat durchaus als nützlich angesehen werden kann: Innere, äußere – und Rechtssicherheit zu garantieren, folglich also auch mit einem Mindestmaß an Geld und Machtbefugnissen ausgestattet.
Subsidiarität
Je besser das Subsidiaritätsprinzip funktioniert, also das Prinzip, daß die kleinste Einheit das regelt, was sie selbst regeln kann – im Idealfall der Einzelne also -, desto weniger einflußreich wäre der Staat. Und mit ihm die Regierung, so man überhaupt eine bräuchte. Aber hier komme ich wieder auf das Volk zurück, das eigentlich aus Subsidiären bestehen könnte, die zusammen den Souverän bilden, der wiederum dann, wenn überhaupt, eine Regierung an die Spitze des maßvollen Staats wählt, die ihm dient – und nicht umgekehrt. Es ist unzweifelhaft dieses Volk, das sich als „Demokraten“ gerade nach Strich und Faden in den Allerwertesten treten läßt von den Demokratieverächtern, die es selbst gewählt hat. Und dieses Volk glaubt abseits dessen mit Inbrunst allen möglichen Blödsinn. Daß große zentralistische Gebilde wie die EU oder besser noch die UN aus irgendwelchen Gründen ein Fortschritt seien, daß sie ihre Interessen besser vertreten würden, oder weiß-der-Geier welche Vorteil der übertölpelte „Demokrat“ in der möglichst zentralistischen Großeinheit erkennt – und warum vor allem -, alles das wären weit wichtigere Fragen, als die, ob Deutschland ohne die FDP erst noch zu einem Albtraum wird. Allein schon die Fragestellung insinuiert, daß es noch keiner sei. Deutschland ist längst schon wieder ein einziger Albtraum. Und zwar mit der FDP.
„Die Menschen“
Immerhin ist dieses Volk doch eines, das sich darin gefällt, permanent von den „die Menschen“ zu reden. Wegen der „Menschlichkeit“, die dieser dämlichsten aller Sprachgewohnheiten innewohnt – und in der Folge dann auch dem Denken, und zwar „unhinterfragt“. Wer heute „denkt“, er sei nicht mehr aus sich selbst heraus, wer er ist, sondern wer sich als Maßstab seiner selbst „die Menschheit“ nimmt, um seine eigene Größe und Wichtigkeit kleinzureden, der kann natürlich mit dem Subsidiaritätsprinzip nichts anfangen. „Was soll ich kleine, unbedeutende Wurst schon aus mir heraus auf die Beine stellen können?“, zweifelt er. Und schon ist er auf dem Weg in die Unmündigkeit, wird zum gerne genommenen Mündel derjenigen, die kein Interesse an seiner Freiheit haben, sondern daran, daß er sich einfügt in die Masse der Gleichen, mithin also ihre eigenen Interessen bedient, denen wiederum dadurch gedient ist, daß sie Ressourcen verwalten und verteilen dürfen, die sie selbst nicht schaffen mussten.
„Kurz, man bringt es durch die Günstlingswirtschaft, durch die Gewinne und Beutezüge, die man mit dem Tyrannen teilt, dahin, daß es fast ebenso viel Leute gibt, denen die Tyrannei nützt, wie solche, denen die Freiheit eine Lust wäre.„. Das beschreibt Deutschland 2020 perfekt -und perplex ist man, wenn man weiß, daß das vor 500 Jahren verfasst worden ist. Tatsächlich ist die Sozialindustrie in Deutschland der größte Wirtschaftszweig geworden. Grob gesagt ist es so: Die eine Hälfte des Volkes hält sich die andere als Arbeitssklaven – und das Ganze nennt sich dann euphemistisch „Sozialstaat“. In einem solchen „Sozialstaat“ liegen die Renten auf dem Niveau von Hungerlöhnen, die Renten- und Krankenkassen sind ausgeplündert, die Beiträge sind dennoch horrend, für das Eigentum des Arbeitssklaven – immer dasselbe Eigentum übrigens – werden laufend neue Wörter erfunden, mit denen erklärt wird, warum sein Eigentum plötzlich allen gehört („Die Steuer“ gibt es angeblich nicht, sondern eine Vielzahl „verschiedener Steuern“, die vorgaukeln, es handele sich bei jeder einzelnen von ihnen um etwas anderes, als um immer dasselbe Geld, das des Arbeitssklaven nämlich). Das ist das Volk, das sich, ginge es nach Ulf Poschardt und der „Welt“, mit der Frage beschäftigen soll, wie ihr Land ohne die FDP aussähe. Es ist nur noch zum Schreien. Ob es eine FDP gibt oder nicht, ist etwa so egal, wie der sprichwörtliche Sack Reis, der in China umfällt.
Die einzig wichtige Frage, die es zu stellen gibt: „Hat ein Volk wie das deutsche überhaupt eine Zukunft angesichts dessen, was es ist?“ – Und ehrlich, verehrter Leser, ich habe sie nicht gestellt, auch wenn es so aussieht, weil Sie die ja gerade gelesen haben. Ich bin ja nicht blöd. Keinesfalls will ich mich unbeliebt machen bei Ihnen. Mein Name ist in gewisser Weise ebenfalls Lindner. Christian Lindner wollte sich auch nicht unbeliebt machen. Allerdings nicht bei den Arbeitssklaven nicht, sondern bei der anderen Hälfte nicht. Wenn ich mich bei Ihnen auch noch unbeliebt machen würde, dann wäre ich überall unbeliebt. Und wenn das erst einmal passiert wäre, dann müsste ich wohl auswandern, resigniert mit den Schultern zucken und den alten Heinrich Heine zitieren: „Denk´ ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.“
[/bg_collapse]